Swantje Michaelsen, Mobilitätsexpertin, und Herbert Tiemens, Verkehrsplaner in Utrecht, zeigen, wie klimaneutraler Verkehr für alle auch in ländlichen Regionen funktionieren kann
Was muss sich ändern, damit Familien im ländlichen Raum öfter das Rad nutzen?
Swantje Michaelsen: Es braucht starke Hauptachsen, an denen der ÖPNV zuverlässig und mit einer guten Taktung fährt, attraktive Angebote für Park-and-ride und Bike-and-ride sowie eine gute Radverkehrsanbindung an den ÖPNV. Statistisch gesehen ist auf dem Land jeder zweite Weg kürzer als fünf Kilometer. Das ist eine Strecke, die sehr gut mit dem Rad zurückgelegt werden kann, wenn die Infrastruktur stimmt. Wenn die Radwege gut ausgebaut sind und nicht irgendwo enden, fangen die Menschen auch an, Rad zu fahren.
Swantje Michaelsen, Mobilitätsexpertin, und Herbert Tiemens, Verkehrsplaner in Utrecht, sind Vordenker für klimaneutralen Verkehr. Foto: Anja Floetenmeyer-Woltmann, Sven Brauers
Wie funktioniert Mobilität in Utrecht?
Herbert Tiemens: Auf dem Land gibt es gut ausgebaute zweispurige Radwege zwischen den einzelnen Ortschaften, die auch viele ältere Leute nutzen. Außerdem haben wir große Park-and-ride-Anlagen gebaut, an denen die Menschen einfach vom Rad in die Bahn umsteigen können. 30 Prozent aller Fahrten auf dem Land werden bei uns mit dem Rad zurückgelegt.
In Utrecht haben wir einen acht Meter breiten Radweg, auf dem täglich 30 000 Leute unterwegs sind. Inzwischen gibt es dort schon Staus an den Fahrradampeln.
Wie haben Sie das bewerkstelligt?
Tiemens: Wir geben jährlich im Schnitt 25 Euro pro Kopf für den Radverkehr aus. Das ist eine effiziente Investition in den Verkehr. Denn dadurch sparen wir 250 000 Millionen Euro im Jahr, die wir nicht in den ÖPNV investieren müssen. Außerdem wird der Autoverkehr flüssiger, die Bevölkerung ist gesünder, es gibt weniger negative Klimafaktoren und weniger Lärm.
Warum klappt das bei uns noch nicht?
Michaelsen: Unsere Mobilität ist ungerecht verteilt. Die gesamte Planung ist einseitig auf das Auto ausgerichtet. Das ist nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell unsinnig und benachteiligt eine ganze Menge Menschen. Über 60 Prozent der Autos sind auf Männer zugelassen. Frauen haben dagegen meist kürzere Wege, gehen zu Fuß und fahren Rad. Eine andere Gruppe, die in unserer Planung bislang keine Rolle spielt, sind Kinder und Jugendliche.
Wie kann man die Zusammensetzung des Verkehrs ändern?
Michaelsen: Es ist wichtig, dass wir umsteuern und Alternativen zum Auto ausbauen. Studien zeigen, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung Rad fahren würde, wenn die Infrastruktur geeignet wäre. Denn diese steuert das Verhalten. Wir bauen seit Jahrzehnten die beste Infrastruktur für das Auto, darum fahren die Leute Auto. Es funktioniert aber auch andersherum: Wenn wir eine gute Fahrradinfrastruktur und einen guten ÖPNV haben, nutzen die Leute diese Verkehrsmittel auch.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Menschen gerne aufs Rad steigen?
Michaelsen: Wenn Sie sich fragen: Würden Sie ein zehnjähriges Kind oder eine 80-Jährige dort fahren lassen und die Frage mit Ja beantworten, dann ist die Infrastruktur gut geeignet.
Haben Sie in Utrecht mehr Geld als die Region Hannover, um den Radverkehr zu fördern?
Tiemens: Ich glaube, wir haben sogar weniger. Aber dadurch, dass wir so viel Radverkehr haben, brauchen wir nicht so viel Geld in den ÖPNV zu stecken. Und den Radverkehr zu fördern ist nicht teuer. Man kann an vielen Stellen einfach einen Poller hinstellen, um Straßen für Autos zu sperren.
Wie vermitteln Sie die Verkehrsveränderungen?
Tiemens: Die Maßnahmen, die die Straßen in den Niederlanden verbessern, stoßen auch hier stets auf Widerstand. Aber wir befragen die Menschen Straße für Straße, ob sie die alte Situation wiederhaben wollen, und die Antwort ist stets Nein. Wir machen Menschen glücklich – gegen ihren Willen.
Wie vermitteln Sie die Verkehrsveränderungen?
Tiemens: Die Maßnahmen, die die Straßen in den Niederlanden verbessern, stoßen auch hier stets auf Widerstand. Aber wir befragen die Menschen Straße für Straße, ob sie die alte Situation wiederhaben wollen, und die Antwort ist stets Nein. Wir machen Menschen glücklich – gegen ihren Willen.
Wie gelingt in Utrecht der Mix von Rad- und Autoverkehr?
Tiemens: Wir haben viele Menschen aus dem Auto geholt und aufs Rad gesetzt. Dabei haben wir festgestellt, dass auch Autofahrende zufrieden sind, weil sich der Verkehrsfluss verbessert hat. Und dass Einzelhändler inzwischen keine Parkplätze mehr vor ihren Geschäften wünschen. Denn nicht Autos kaufen ein. Es sind Menschen, die einkaufen. Und weil die Straßen mehr zum Bummeln einladen, erhöht sich der Umsatz. Er hängt nicht an nahen gelegenen Parkplätzen, sondern an der Lebensqualität.